Samstag, 30. Juni 2007
Ich bin in Marburg, Teil 1
Zu allem Überfluss habe wir kurz vor der Abfahrt zum Bahnhof Anne und Chistoph getroffen. Anne hat einige Zeit für Chris gearbeitet und die beiden sind vor ein paar Wochen nach Wiesbaden umgezogen, weil Christoph endlich einen festen Arbeitsvertrag bekommen hat. Die beiden haben den Umzug hinter sich und was sagt Christoph: „Dass wir aus Hamburg weg sind, ist mir erst jetzt klar – und wir vermissen die Stadt und die Leute sehr.“ Na super. Genau die Worte, die ich gebraucht habe.
Ich kann die letzten 10 Jahre nicht einfach so vom Tisch wischen und ich will es auch nicht. Wir haben hier gemeinsam sehr viel aufgebaut und auf den Weg gebracht. Freundschaften sind entstanden und Kinder wurden geboren. Aber gut, wir haben schon lange ein Ja zu Marburg gefunden und daran halten wir jetzt fest und gehen weiter.
Zwei Stunden später: Sitze gerade in dem Abschnitt zwischen Kassel und Marburg in einem Abteil. Mit mir zusammen 5 Leute aus der Heide auf den Weg in Schwarzwald. Wir reden über alles Mögliche: Kartoffeln, die Schönheit der Heide, Bier, meine Kinder. Dann fragt jemand, was ich beruflich mache. „Ich bin Pastor.“ Betretendes Schweigen, Stille, Suche nach Worten. Erklärungen, warum sie nicht in die Kirche gehen. Die Stimmung kippt. Ich bin ein Außerirdischer.
So, bin jetzt in Tabor angekommen und sitze im Foyer, wo ich einen Internetanschluss habe. Gerade habe ich mit meinen Schwiegereltern in der Cafeteria gesessen. Sie sind hier gerade zur Taborwoche. Mein Zimmer ist schön und ruhig und es tut gut, hier zu sein. Morgen werde ich dann im Gottesdienst die Predigt halten und anschließend mit den Leuten zusammen sein, grillen, essen, reden.
Donnerstag, 28. Juni 2007
Hamburg – Marburg
Von Samstag bis Mittwoch werde ich in Marburg sein. Hier werden wir dann die entscheidenden Gespräche führen, die meinen Stellenwechsel im nächsten Jahr betreffen. Ich freue mich darauf, die Gemeinde ein wenig mehr kennen zu lernen. Auch wenn wir da selber mal Mitglieder waren, so hat sich doch einiges verändert. Eine ganze Reihe von Menschen sind dazu gekommen, andere sind nicht mehr da.
In den letzten Wochen habe ich mit vielen über unseren Wechsel nach Marburg gesprochen. Die Reaktionen sind ganz unterschiedlich. Einige können es nur schwer nachvollziehen, dass wir gehen, andere wollen gern mehr wissen, warum wir gehen udn vor allem wohin.
Bein denen, die Marburg-Ortenberg kennen, gab es interessanterweise fast immer nur zwei REaktionen. Die einen sagten: "Wird hart, aber du kannst das schaffen." Die anderen: "Bist du wahnsinnig? Mitten ins Zentrum? Ich möchte niemals so auf dem Präsentierteller arbeiten." Woran liegt das, dass ich das so ganz anders sehe? Ich stelle mir das alles sehr spannend und schön vor. Ich glaube, dass ich dort eine Menge lernen kann und auch eine Menge zu geben habe. Darum würde ich mich riesig freuen, wenn jetzt auch die letzten Türen aufgehen würden.
Ein paar haben mir schon gesagt, dass sie gern wisen würden, wie es mir in Marburg ergeht. Darum melde ich mich noch mal von unterwegs, versprochen.
Montag, 25. Juni 2007
Morgen im Europarat
Gut, letzten Endes ist das nur ein logischer und konsequenter Schritt am Ende des Christentums (Christentum ist die Epoche, in der Kirche und Staat nebeneinander standen und in der es so etwas, wie einen gemeinsame Volksglauben gab). Aber halten wir es trotzdem einmal fest: Nicht nur im christlichen Abendland geht die Sonne unter, sondern auch das große Zeitalter der Toleranz ist offensichtlich zu Ende, falls es das überhaupt gab. Denn ein tolerantes Schulsystem wäre für mich im Blick auf dieses Thema, dass verschiedene Ansätze und Theorien nebeneinander gestellt werden und die Schüler müssten dann die Stärken und Schwächen herausarbeiten. Das wäre nicht nur tolerant, sondern auch spannend. Junge Menschen würden hier lernen, sich auch in dieser Frage eine eigene Meinung zu bilden und sie zu vertreten.
Nachtrag (Dienstag, 26.06.2007): Soeben habe ich gelsen, dass der Europarat das Thema wieder von der Tagesordnung genommen hat. Interessant ist die Reaktion des Antragstellers. Hier erfahrt ihr mehr.
Montag, 18. Juni 2007
und noch 'mal Gemeinschaft
Ich glaube, dass Gott in die menschliche Gemeinschaft hinein einen Schatz vergraben hat, den wir heben sollten. In den letzten Tagen habe ich ein paar Stücke davon ausgegraben.
Am Samstag habe ich mir das Buch von Jean Vanier gekauft: In Gemeinschaft leben. Es beginnt mit den Worten: „Die Gemeinschaft ist der Ort der Zugehörigkeit, ein Ort, an dem man seine Heimat und seine Identität findet.“ Klingt erst nach eine dieser vielen Definitionen, aber denkt einmal einen Augenblick darüber nach. Dieser Satz geht tiefer. Oder, um es einmal auf schwedisch zu sagen: „Existierst du noch oder lebst du schon?“
In Exiles habe ich ein paar Kennzeichen von M. Scott Peck gefunden, die mich auch ein ganzes Stück weitergebracht haben (in den Klammern stehen meine Anmerkungen):
- Menschen sind sich in vielen Grundfragen und Ansichten einig (sie stellen also nicht immer alles grundsätzlich in Frage)
- Sie haben einen Sinn für die Realität (im Gegensatz zu blauäugigen Zusammenkünften, bei denen jeder denkt, man hätte jetzt den Himmel auf Erden gefunden und man wäre die einzige Gruppe, die jetzt alles richtig macht und alle anderen sind eh doof)
- Sie bieten genug Raum, damit sich jeder auch einmal zurückziehen kann (sie engen nicht ein und lassen Menschen auch einmal in Ruhe)
- Sie geben ihren Mitgliedern ein Gefühl von Sicherheit (Vanier: Zugehörigkeit, Heimat)
- Sie haben die Möglichkeit, auch einmal andere Formen des Zusammenlebens auszuprobieren (sie pflegen ihre Gemeinschaft, nicht die Tradition)
- Sie streiten gnädig miteinander (sie streiten und schlucken nicht alles und passen gleichzeitig aufeinander auf)
- Alle Mitglieder sind Leiter (mmmmh, da würde ich gern noch mal nachfragen, was er genau damit meint)
- Es regiert ein Geist des Friedens (... der höher ist als unsere Vernunft)
Ist es möglich, dass eine Gemeinde diese Kennzeichen lebt? Ich denke, ja! Es ist möglich, aber um dahin zu kommen müssen wir ständig hart dafür kämpfen. Gemeinschaft fällt nicht so vom Himmel, auch wenn die Voraussetzungen dafür von dort kommen.
Am Samstag war Tabor-Tag in Lemförde. Karin und ich gehören ja zur Studien- und Lebensgemeinschaft Tabor. Auch hier habe ich etwas davon gespürt, was es heißt, wirklich Gemeinschaft zu leben. Alte und Junge, Männer und Frauen kommen zusammen und teilen ihr Leben für ein paar Stunden. Auch wenn nicht immer über alles geredet wird, so haben wir doch sehr offen gesprochen. Ich selber habe gestaunt, wie gerade ältere Leute aus diesem Kreis mit Niederlagen umgehen, ohne dabei bitter zu sein. Sie sind mir zum Vorbild geworden. Ich bin stolz darauf, zu dieser Gemeinschaft zu gehören.
Dienstag, 12. Juni 2007
Die Postmoderne beim Inder
Wir haben viel über die Phänomene der Postmodernen gesprochen. Dabei ist es mir wieder aufgefallen: Ich habe viel über sie gelesen und ich mache so meine Beobachtungen, aber ich kann sie immer noch nicht wirklich fassen. Vermutlich ist das ja gerade das, was diese Epoche ausmacht; sie ist nicht in Formen zu pressen oder mit Definitionen einzugrenzen. Wir können im Augenblick nur beobachten. Überhaupt: Könnte bitte irgendjemand endlich einen vernünftigen Namen für die Zeit nach der Modernen finden - sonst mach ich das :).
Je mehr ich aber über dieses Thema nachdenke, um so mehr bin ich davon überzeugt, dass diese Zeit für uns als Gemeinde Jesu eine sehr wertvolle sein kann. Die Menschen sind offen für die beste Nachricht der Welt. Sie sehnen sich nach echter Gemeinschaft und sie wollen Wahrheiten kennen lernen, aber anders, als wir es bisher gewohnt sind. Die Frage ist nicht: Ist die Zeit offen für das Evangelium – das ist sie. Die Frage ist: Sind wir als Gemeinde Jesu bereit, um zu denken, um die Menschen auf einem anderen Weg mit dem Evangelium zu erreichen?
Montag, 11. Juni 2007
Alleinsein und Gemeinschaft
Bonhoeffer hat einmal sinngemäß gesagt: "Man muss in der Lage sein, allein sein zu können, um auch fähig zu sein, Gemeinschaft leben zu können und man muss Gemeinschaft leben können, um allein sein zu können." Also so in etwas (bin gerade zu faul, um das Buch gemeinsames Leben zu suchen, außerdem ist es einfach viel zu warm).
In vielen Völkern gibt es bis heute Initiationsriten. Da müssen zum Beispiel Jungs an der Schwelle zum Erwachsenwerden ein paar Tage allein in der Wildnis klarkommen und eine Aufgabe erledigen. Für einen Hamburger könnte das so aussehen, dass er eine Woche in Harburg überleben und irgendein Tier erlegen muss.
Wenn ich das richtig verstehe, dann leben diese Völker genau das, was Bonhoeffer gesagt hat. Die Männer müssen zeigen, dass sie reif genug sind, um allein klar zu kommen. So können sie dann ihrer Gemeinschaft ganz anders dienen, als Jungs, die nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen. Kann es sein, dass wir das für unsere christlichen Gemeinschaften neu entdecken müssen? Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Menschen nur deswegen zu uns kommen, weil sie nicht mehr allein sein wollen – und legen damit die Latte ihrer Erwartungen an eine Gemeinschaft ziemlich hoch. Ihre Botschaft lautet: "Ich bin einsam, ändere etwas daran. Ich bin allein – kümmere dich um mich." Die Folge davon ist die, dass die Gemeinschaft ihnen dienen muss und nicht umgekehrt. Schnell endet das in Überforderungen, falschen Erwartungen, Enttäuschungen und dem dumpfen Gefühl, es allen recht machen zu müssen. Vielleicht ist es gut, wenn wir nicht nur darüber nachdenken, wie wir in der Gemeinde die Gemeinschaft verbessern, sondern wenn wir unseren Leuten auch helfen, allein sein zu können.
Freitag, 8. Juni 2007
Liest das eigentlich jemand?
Donnerstag, 7. Juni 2007
G8 und der Kirchentag
In Heiligendamm tagen im Augenblick die G8 und in Köln findet der Kirchentag statt. Gestern in Nachrichten wurden von beiden Treffen berichtet. Ich habe den Eindruck, dass sich in Köln alles um das Treffen an der Ostsee dreht. Veranstaltungen zum Klimawandel (die Kirche ist dagegen), Aktionen gegen die Armut in der Welt (die Kirche ist auch dagegen), wirtschaftliche Ungerechtigkeit (ihr ahn es schon, welche Position die Kirche einnimmt). Zum Prostestaufakt läuteten in Deutschland Hunderte von Glocken (in Hamburg habe ich übrigens nichts davon mitbekommen – und selbst wenn, ich hätte nicht gewusst, warum sie läuten).
Ich meine, ich stehe ja hinter der Kritik, die geäußert wird. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland an Fettleibigkeit leiden, während andere ein paar Tausend Kilometer weiter südlich ständig mit dem Hungertod rechnen müssen, aber unter uns: Der Protest der Kirche wirkt so unglaublich schwach und manchmal wirkt er auch einfach nur peinlich. Vielleicht wäre es besser, wenn wir mehr das sichtbar machen, wofür wir stehen und wofür wir sind, anstatt immer nur zu sagen, wogegen. Wir verkündigen eine neue Welt, Gottes Reich, das mit Jesus mitten unter uns angebrochen ist. Eine neue Welt, die sich ihren Weg bahnen wird, mit uns oder ohne uns. Und heute schon können wir ein Teil davon sein und darin leben. Was meint ihr, was passieren würde, wenn Christen weltweit anfangen würden, dieses Reich Gottes bewusst zu leben, anstatt ständig zu versuchen, die alte Welt zu renovieren? Wenn Christen nicht nur auf die Straße gehen würden, um alle möglichen Fehler anzukreiden, sondern endlich ganz bewusst die Liebe Gottes in ihren Stadtteil einbringen würden. Wenn Männer und Frauen des Reiches Gottes ihren Nachbarn und Freunden dienen, indem sie ihnen ihre Liebe schenken und selber in das Reich Gottes einladen würden. Nein, das würde nicht alle Probleme von heute auf morgen beseitigen, aber ich denke, die Kirche würde wieder an Kraft gewinnen.