Montag, 18. Juni 2007

und noch 'mal Gemeinschaft

Das Thema Gemeinschaft beschäftigt mich im Augenblick sehr. Eigentlich ist das gar nicht mein Thema, denn ich bin jemand, der sehr gern allein ist und auch gut allein sein kann. Trotzdem: Je mehr ich darüber nachdenke, um so faszinierter bin ich davon. Nicht, dass ich mich zum ersten Mal damit auseinandersetze, aber es kommen immer mehr Gedanken darüber zusammen und ich beginnen zu verstehen, was Gemeinschaft wirklich ist – fern ab von oberflächlichen Definitionen, persönlichen Meinungen, dänischen Butterkeksen, Früchtetees und diesem furchtbaren Lied „gut, dass wir einander haben" (das für mich deswegen so furchtbar ist, weil ich mich an einen gewaltigen Streit in einer christlichen Gemeinschaft erinnere, bei dem viele Träne flossen, Menschen verletzt wurden und am Ende jemand aufstand und hilflos stammelte, wir sollten doch jetzt mal dieses Lied singen, denn schließlich seien wir doch alle Christen - und die Meisten sangen mit. Selten habe ich so viel Heuchelei erlebt).
Ich glaube, dass Gott in die menschliche Gemeinschaft hinein einen Schatz vergraben hat, den wir heben sollten. In den letzten Tagen habe ich ein paar Stücke davon ausgegraben.
Am Samstag habe ich mir das Buch von Jean Vanier gekauft: In Gemeinschaft leben. Es beginnt mit den Worten: „Die Gemeinschaft ist der Ort der Zugehörigkeit, ein Ort, an dem man seine Heimat und seine Identität findet.“ Klingt erst nach eine dieser vielen Definitionen, aber denkt einmal einen Augenblick darüber nach. Dieser Satz geht tiefer. Oder, um es einmal auf schwedisch zu sagen: „Existierst du noch oder lebst du schon?“
In Exiles habe ich ein paar Kennzeichen von M. Scott Peck gefunden, die mich auch ein ganzes Stück weitergebracht haben (in den Klammern stehen meine Anmerkungen):

- Menschen sind sich in vielen Grundfragen und Ansichten einig (sie stellen also nicht immer alles grundsätzlich in Frage)

- Sie haben einen Sinn für die Realität (im Gegensatz zu blauäugigen Zusammenkünften, bei denen jeder denkt, man hätte jetzt den Himmel auf Erden gefunden und man wäre die einzige Gruppe, die jetzt alles richtig macht und alle anderen sind eh doof)

- Sie bieten genug Raum, damit sich jeder auch einmal zurückziehen kann (sie engen nicht ein und lassen Menschen auch einmal in Ruhe)

- Sie geben ihren Mitgliedern ein Gefühl von Sicherheit (Vanier: Zugehörigkeit, Heimat)

- Sie haben die Möglichkeit, auch einmal andere Formen des Zusammenlebens auszuprobieren (sie pflegen ihre Gemeinschaft, nicht die Tradition)

- Sie streiten gnädig miteinander (sie streiten und schlucken nicht alles und passen gleichzeitig aufeinander auf)

- Alle Mitglieder sind Leiter (mmmmh, da würde ich gern noch mal nachfragen, was er genau damit meint)

- Es regiert ein Geist des Friedens (... der höher ist als unsere Vernunft)

Ist es möglich, dass eine Gemeinde diese Kennzeichen lebt? Ich denke, ja! Es ist möglich, aber um dahin zu kommen müssen wir ständig hart dafür kämpfen. Gemeinschaft fällt nicht so vom Himmel, auch wenn die Voraussetzungen dafür von dort kommen.

Am Samstag war Tabor-Tag in Lemförde. Karin und ich gehören ja zur Studien- und Lebensgemeinschaft Tabor. Auch hier habe ich etwas davon gespürt, was es heißt, wirklich Gemeinschaft zu leben. Alte und Junge, Männer und Frauen kommen zusammen und teilen ihr Leben für ein paar Stunden. Auch wenn nicht immer über alles geredet wird, so haben wir doch sehr offen gesprochen. Ich selber habe gestaunt, wie gerade ältere Leute aus diesem Kreis mit Niederlagen umgehen, ohne dabei bitter zu sein. Sie sind mir zum Vorbild geworden. Ich bin stolz darauf, zu dieser Gemeinschaft zu gehören.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Gerade ist mein Kommentar mir verloren gegangen. Ich hab's wohl doch noch nicht so ganz drauf.Ich denke,ich mache morgen nochmal einen Versuch, wird jetzt viel zu spät!

Gruß,
Marion

Anonym hat gesagt…

Neuer Versuch!
Eine Menge guter Gedanken von dir und den zitierten Autoren. "Gnädig streiten", das gefällt mir sehr. Wohl streiten, aber in Liebe und mit Achtung vor dem anderen. Ob man es als Gemeinschaft hinkriegt, alle diese genannten Punkte zu beachten (und sicher sind das nicht mal alle), also ich weiß nicht. Ist sicher sehr anstrengend, dauernd dies alles im Kopf zu haben und dann auch noch umzusetzen.
"Die Gemeinschaft ist der Ort der Zugehörigkeit, ein Ort, an dem man seine Heimat und seine Identität findet." Das ist wahr, vorausgesetzt, man begibt sich soweit in eine Gemeinschaft hinein, dass ein Austausch entstehen kann. Leben braucht Austausch wie Luft und Wasser und Nahrung. Erst wenn ich erfahre, wie andere Menschen auf mich, oder auf das was ich sage oder tue, reagieren, und ich selbst umgekehrt auch auf andere reagiere, lerne ich mich selbst kennen und finde meine Identität.
Dabei stellt sich mir gleich die Frage: Menschen sind normalerweise nicht nur "Mitglieder" einer einzigen Gemeinschaft. Da ist die Familie, evtl. die größere Verwandtschaft, die Kirchengemeinde, vielleicht gibt's sowas wie eine Gemeinschaft auch am Arbeitsplatz, ist ja leider meistens eher nicht so, dann Vereine, Freundeskreis etc. Diese verschiedenen Gemeinschaften haben ganz unterschiedliche Schwerpunkte, d.h. es stehen immer wieder andere Seiten eines Menschen im Vordergrund. Schafft man es trotzdem, immer der/dieselbe zu bleiben,oder passt man sich dem jeweiligen Umfeld zu sehr an? Dann wäre es ja mit der Identität nicht weit her.

Schönen Gruß,
Marion

Stefan Piechottka hat gesagt…

Du hast geschrieben: Schafft man es trotzdem, immer der/dieselbe zu bleiben,oder passt man sich dem jeweiligen Umfeld zu sehr an? Dann wäre es ja mit der Identität nicht weit her."

Die Frage ist: Wie schafft man es? Natürlich helfen uns Menschen nicht nur, unsere Identität zu finden, oft genug werden sie auch versuchen, uns so zu formen, wie SIE uns gern hätten - bewusst oder auch unbewusst.
Wir müssen lernen, die Menschen zu finden und uns von ihnen prägen lassen, die uns wirklich helfen wollen so zu werden, wie Gott uns geschaffen hat. Anderen gegenüber sollten wir irgendwie eine gewisse Immunität entwickeln.

Bernd hat gesagt…

Zitat:
Anderen gegenüber sollten wir irgendwie eine gewisse Immunität entwickeln.

Irgendwie Immun werden? Gegen was und wen?

Gemeinschaften und Ihre Menschen beinhalten immer auch Ihre Reibungspunkte. Gesunde Abgrenzung ist ok, aber irgendwie Immun werden hat was negatives an sich, weil man Gefahr läuft andere oder gar sich selbst abzulehnen.

Eine Gemeinschaft besteht aus den Menschen und Ihren Identitäten und ist somit ein Abbild dessen. Ohne eigene Identität wäre man ziellos.

Aber selbst eine schwache Identität ist eine Identität und kann positive Gemeinschaften bilden, z. B. in Selbsthilfegruppen.

Wichtigster Punkt in Gemeinschaften ist die Annahme ohne Ansehen der Person. Und nicht zuletzt der ehrliche Umgang mit sich selbst, Schwächen zugeben können und so eine Identität zu sein die sich selbst wahrnimmt und begreift.

Gruß
Bernd

Anonym hat gesagt…

Ich verstehe die "Immunität"so, dass wir nicht Personen an sich ablehnen sollen, sondern wenn wir erkannt haben, dass ihr Einfluss auf uns manipulativ ist und den Eigeninteressen dieser Personen dient, uns bewußt gegen diese Manifpulation abgrenzen sollten. Das heißt nicht, dass wir keinen Umgang mit solchen Menschen haben sollten. Wir können sie als Menschen schätzen und trotzdem versuchen zu verhindern, dass Verhaltensweisen auf uns abfärben, die uns nicht dienen.

LG,
Marion

Stefan Piechottka hat gesagt…

Genau das habe ich gemeint. Ich denke, es ist kein Widerspruch, wenn ich sage, dass ich jeden Menschen annehmen und mich gleichzeitig von den Einflüssen einzelner fernhalten möchte. Ich möchte jeden Menschen lieben, aber ich möchte mich nicht von jedem prägen lassen (keine Ahnung, ob das überhaupt geht oder ob nicht doch jeder Mensch Einfluss auf uns ausübt).

Bernd hat gesagt…

da ja vieles auf Ergänzungen basiert wie beispielsweise das jemand eine 4Bbesonderheit oder Stärke hat die ich eher als Schwäche habe, können wir solchen Einflüssen wohl kaum entfliehen.

Schaffe ich es mich empathisch zu Verhalten und aus einer gesunden Distanz heraus hinzugeben? Zumal die Liebe hier als Grundlage eine gewisse Öffnung verlangt?

Ich für meinen Teil stelle fest, dass mir solches nicht immer gelingt. Dort wo es mich persönlich betrifft kann ich mich prinzipiell nur raushalten, wenn es mir gelingt.

Menschen die mir nichts Gutes wollen oder manipulativ sind halte ich auf Abstand. Bzw. erlaube ich mir auch nach außen gesunde Grenzen zu setzen und tu diese notfalls auch mit Bestinmmtheit kund.

Das halte ich auch für absolut legitim, nicht alles kommt von Gott, sondern durchaus auch mal von der Gegenseite. Und dem gegenüber darf und muss ich mich klar abgrenzen.

Immunität ist vielleicht auch etwas irreführend, einfach weil wir es nicht sind. Wir haben Stärken und Schwächen, Prägungen und Verletzungen die uns verwundbar machen.

Gruß
Bernd

Noemi, Tabita und Elias

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